Beichte in Wolkenkuckucksheim von Rita Mittendorf

Meer over het boek

Es ist ein verstörendes Gefühl, das ich mir seit vier Jahren selbst erzähle. Jeden Tag gehe ich allein mit meinem Rollator zum Discounter und scheue mich nicht. Ich bin eine Kämpferin, gehe selbst zum Arzt um die Ecke und finde den Weg zum bestellten Taxi für meine Behandlungen. Oft sage ich mir, dass ich mich überwinden muss, obwohl ich mich elend fühle und am liebsten umfallen würde. In meiner Wohnung, die ich Wolkenkuckucksheim nenne, bewege ich mich ständig und zähle nicht, wie oft ich hin und her gehe. Ich trainiere meinen Gang, doch mein Arzt und die Physiotherapeutin raten mir, noch mehr für mich zu tun. Ihre Sorge gilt meinen Fortschritten nach einem Absturz ins Nichts, die ich nicht leugnen kann, auch wenn sie ein gegenläufiger Prozess sind. Mit über 70 Jahren dominiert das Altern mein Leben. „In Würde altern“ klingt gut, doch das Altern ist nichts für Feiglinge, wie ein Schauspieler einmal sagte. Ich wurde 1950 geboren und hatte eine hoffnungsvolle Zukunft vor mir, wären da nicht der unbefriedigende Zustand der Gesellschaft und mein besonderer Charakterzug. Ich war immer aufgeräumt, oft daneben und unterbeschäftigt – heute würde man sagen, ein ADS-Kind. Was ich noch tun kann, ist, zu erzählen, wie es war. Ich war 26 Jahre in der Gewerkschaft und vor allem als Parlamentarierin in Sachsen-Anhalt tätig, eine wilde und schöne Zeit, besonders die 22 Jahre im Landtag.