Was widerfährt dem Denken, wenn Philosoph_innen Philosophie als künstlerische Praxis verstehen? Der Sammelband Philosophy On Stage vereinigt erstmals Reflexionen des Festivals „Philosophy On Stage“ im Kontext der Philosophie und künstlerischen Forschung. Wie verändert sich unser Bild des Denkens, wenn sich Philosoph_innen und Künstler_innen aufmachen, Philosophie als eine künstlerische Forschungspraxis zu verstehen? Ist das Denken seit Nietzsche nicht genau dahin unterwegs, sich selbst die Verankerung in der Sinnlichkeit zurückzugeben? Diese Forschungsfrage ist der entscheidende Impetus, aus dem heraus der Philosoph Arno Böhler und die Künstlerin Susanne Valerie Granzer seit 20 Jahren Milieus für ein Denken bauen, das nicht insgeheim einem asketischen Ideal frönt, sondern dem Körper und dem Begehren Raum gibt. Der Sammelband präsentiert eine philosophische Kontextualisierung dieser Fragestellungen im Rahmen des Festivals „Philosophy On Stage #4: Nietzsche et cetera“. Mit Texten von Arno Böhler, Susanne Valerie Granzer, Anke Haarmann, Krassimira Kruschkova, Alice Lagaay, Anton Rey und Elisabeth Schäfer. Das Buch ist im Rahmen des PEEK Projektes „Artist-Philosophers. Philosophy as Arts-Based Research“ entstanden, das vom Österreichischen Wissenschaftsfonds gefördert wurde.
Arno Böhler Boeken






Wissen wir, was ein Körper vermag?
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Die Frage »Wissen wir, was ein Körper vermag?« ist für Spinozas Ethik zentral, weil sie die leibliche Fundierung geistiger Tätigkeiten in den Blick kommen lässt. Immer wieder fragt er seine philosophischen Gegner, wie sich die »schlafwandlerische Kreativität« der Natur verstehen lässt, kraft der sie komplexe Gebilde hervorbringt, ohne sich diese im Vorhinein mental vorgestellt zu haben. Der Band geht dieser Frage in drei Hinsichten nach: Wie kommt die nachtwandlerische Kraft der Natur in religiösen Diskursen zur Sprache? Wie zeigt sie sich in Performance-Praxis und -Theorie? Welches Bild von Denken wird durch ein solches Denken der Körper generiert? Mit Beiträgen von Brian Massumi, Erin Manning, Marcus Steinweg u. a.
Wie lässt sich die Verbindung zwischen Leiblichkeit und der Konstitution kultureller Bedeutungen denken? Die Beiträge des Bandes reichen von begrifflichen Überlegungen zu den Körpern über die Einbeziehung der Psychosomatik zu jenen Körperpraktiken, welche die akademische Praxis selbst mitbestimmen. Der Vielfalt von Blickwinkeln gemeinsam ist die Aufmerksamkeit für den Körper als Ausgangspunkt und sinnstiftendes Medium wissenschaftlichen Denkens, Vortragens und Schreibens. Künstlerische Formen wie die Lecture-Performance geraten ebenso in den Blick wie die Frage, ob sich die Philosophie in der Perspektive der Korporalen Performanz selbst als eine Form leiblicher Kreativität enthüllt.
Unterwegs zu einer Sprache der Freundschaft
DisTanzen: Nietzsche - Deleuze - Derrida
„Unterwegs zu einer Sprache der Freundschaft“ umkreist jenen unheimlichen Gast, den Nietzsche auf uns zukommen sieht: den Europäischen Nihilismus. Noch ist dieser Gast im Kommen begriffen und die Gestalt, in der er uns vielleicht einmal heimgesucht haben wird, mehrdeutig und vage. Als fernes Ereignis einer unbestimmten Zukunft, deren Kommen ungewiss ist, bewegt sich die Geschichte des Nihilismus noch immer durch jene utopische Dimension des „Ohngefähr und Vielleicht“, in der erst über Sein/Nichtsein und die zukünftige Gestalt eines Werdenden entschieden wird. In einer teleiopoietischen Analyse (Poetik der Distanz) dieser fernen Ereignisse lässt sich der Autor auf eine Reihe möglicher Genealogien ein, die sich voraussichtlich aus der Geschichte des Nihilismus ergeben werden: die des passiven, des aktiven und des vollkommenen Nihilismus. Der Auftritt des vollkommenen Nihilisten stellt eine qualitative Zäsur im „genetischen” Werdegang des Nihilismus dar, in der sich der Mensch fast übermenschlich in die Überwindung der richtenden Werte geschickt haben wird (Gilles Deleuze). Die Genealogie des vollkommenen Nihilismus wird damit zum Versprechen einer neuartigen Politik der Freundschaft (Jacques Derrida), die den Geist des Ressentiments womöglich hinter sich gelassen haben wird.
Die Perspektive aus der sich diese interkulturelle Studie methodisch nährt, ist die Grunderfahrung der ursprünglichen Zeitlichkeit. Diese bildet den äußersten Ring des Vorverständnisses, von dem her – ek tou. – die Untersuchung ihre systematische Strukturierung erhält. Von ihr her liest und belichtet der Autor die beiden Denker Martin Heidegger und Aurobindo Ghose, um sie innerhalb der Grenzen der ursprünglichen Zeitlichkeit wahr zu nehmen und freizulegen. Fast gleichzeitig und unabhängig vom jeweiligen Kulturkreis wurde für sie das asiatische und europäische Denken zu jenem Rätsel, in dem alle Fäden der Frage: Wer ist der Mensch?. zusammenlaufen. Die ursprüngliche, anthropologische Zeitlichkeit ist vierdimensional. Sie gliedert sich in die Horizonte der Zukunft, Gewesenheit, Gegenwart und deren Gleichzeitigkeit, den AugenBlick. In ihm ist das Ganze aller möglichen Welten. In ihm ist Ewigkeit – ihr Leiben und Leben.
Das Verhältnis von Denken und Theater ist seit Alters her mehrdeutig. Einerseits bestimmte die antike Philosophie den Akt des Denkens in Analogie zum Theater als Ereignis einer Schau (theoría), andererseits ortete gerade Platon im Theater einen radikalen Widersacher des Denkens.
Für Kant und Heidegger fungiert die transzendentale Einbildungskraft als jenes Licht, das uns allererst einen Zugang zur Wirklichkeit aufschließt. Indem sie die zwölf Verstandesbegriffe schematisiert, generiert sie in uns das „reine Bild“ von der Zeit und eröffnet uns dadurch einen schematischen Ausblick auf die Wirklichkeit. Diese kann nun wahrgenommen, archiviert und imaginär reproduziert werden – Tätigkeiten, durch die das transzendentale Wesen der Zeit in Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart aus-ein-ander-tritt. Der zweite Abschnitt handelt von diesem Aus-ein-ander-klaffen der Zeit. Lebendige Gegenwart und archivierte Vergangenheit treten jetzt in ein intimes Wechselspiel zueinander, um schließlich vom dezentrierten Kreis jener „königlichen“ Wiederholung (Gilles Deleuze) abgelöst zu werden, die im Gedächtnis der Zukunft vollzogen wird.