Wolfgang Hilbig und die (ganze) Moderne
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Wer sein Automobil auf Kredit kauft, hat in der Regel das Recht, diesen Kredit jederzeit während der Laufzeit zu kündigen und in einer Summe zu tilgen. Hierbei fallen weder Gebühren an, noch ist das Kündigungsrecht an einen Aufschlag auf den Zinssatz gekoppelt - eine Besonderheit, die der Käufer der Konkurrenzsituation auf dem Automobilmarkt zu verdanken hat. Finanzwirtschaftlich betrachtet stellt dieses Recht eine geschenkte Kündigungsoption dar. Doch welchen Wert hat dieses „Geschenk“? Erkennen und nutzen Käufer ihren Vorteil, indem sie ihren Automobilkredit beispielsweise nach einer Phase fallender Zinssätze durch einen günstigeren Bankkredit ablösen? Oder finden Kündigungen von Automobilkrediten üblicherweise doch nur dann statt, wenn der Käufer - beispielsweise nach dem Weiterverkauf seines Automobils - dazu vertraglich verpflichtet ist? Als Ausgangspunkt wählt sich der Autor vergleichbare Untersuchungen für amerikanische Hypothekenkredite, wo Kreditnehmer seit langem ihre Kredite hauptsächlich mit dem Motiv der Zinsersparnis kündigen. Zunächst entwickelt er ein Modell, das an die spezifischen Charakteristika von Automobilkrediten angepasst ist - hierzu zählen insbesondere eine vergleichsweise kurze Laufzeit, ein geringerer Nominalbetrag sowie abweichende Kündigungsmotive. Annahmengemäss erwägt der Kreditnehmer eine Kündigung in unregelmässigen Abständen, und kündigt dann auch tatsächlich, wenn die erreichbare Zinsersparnis die nötigen Formalitäten mehr als aufwiegt. Der empirische Teil der Studie kann auf einen einzigartigen Datenbestand zurückgreifen: die Ausstattungsmerkmale und Kredithistorien von rund 200.000 Krediten eines grossen deutschen Automobilherstellers, begeben über einen Zeitraum von 6 Jahren. Zunächst stehen dabei hypothetische Kündigungsstrategien und ihre Auswirkungen im Mittelpunkt: Welchen Wert hätte die Kündigungsoption, wenn die Kreditnehmer zum für sie günstigsten Zeitpunkt kündigen würden? Welchen Einfluss hat dabei die angenommene Abneigung gegen die Formalitäten der Kündigung? Die beobachteten Kündigungen geben jedoch auch Auskunft über den tatsächlichen Wert der Kündigungsoption: Was ist der durchschnittliche, was der maximale Wert dieses Geschenks? Welcher Anteil der Kündigungen geht auf Zinsmotive zurück, welche Kündigungen haben andere Beweggründe? Spielen aussergewöhnliche Ausstattungsmerkmale des Kredits - beispielsweise ein besonders hoher Zinssatz oder eine besonders lange Laufzeit - bei der Kündigungsentscheidung eine Rolle? Sowohl für den Gesamtbestand als auch für einzelne Jahre, einzelne Quartale und interessante Teilbestände gibt die Studie detaillierte und teilweise überraschende Antworten.
Non Fiktion. Arsenal der anderen Gattungen
Aus dem Inhalt: Erhard Schütz: Rückblick auf die Reportage unter gelegentlicher Rücksicht auf Kisch, Kommunismus und DDR – Carsten Gansel: Zur Systemlogik der Ost-Moderne. Reportagen und ihre »gesellschaftliche Funktion« – Stephan Pabst: Heteronomie als Programm: Reportage-Literatur in der DDR – Katja Stopka: Der Stellenwert der Reportage in der Ausbildung des Instituts für Literatur »Johannes R. Becher« – Katrin Hudey und Yan Zhu: Die Reportage: eine globale Gattung? Zur Rezeption von Egon Erwin Kischs China geheim (1933) – Matthias Aumüller: Reportage und Aufbauroman. Am Beispiel von Texten von Willi Bredel, Eduard Claudius und Dieter Noll – Janine Ludwig: Geschichten oder Reportagen aus der Produktion? Die Produktionsstücke von Heiner und Inge Müller – Steffen Hendel: Das Subjekt als Weg und Ziel der kommunistischen Welt. Brigitte Reimanns Sibirienreportage Das grüne Licht der Steppen in Zeitung, Buch und Tagebuch 1964/65 – Marlene Kirsten: »Eine libellige Reise«. Die Textverfahren in Peter Gosses Antennendiagrammen und ihr Bezug zu Reportage und Reiseliteratur – Bénédicte Terrisse: Praxis und Formen der Reportage im Werk Sarah Kirschs – Mike Rottmann: Kurzgeschichten und Sozialforschung. Die Reportagebücher des »sozialistischen Gerichtsberichterstatters« Rudolf Hirsch – Sebastian Speth: True Crime. Inszenierte Gerichtsreportage im Fernsehpitaval der DDR – Stephan Ehrig: Transmediale Baustellenästhetik. Die sozialistische Neubaustadt in Reportage und Dokumentarfilm – Carola Hähnel-Mesnard: Inszenierungsstrategien und Selbstreflexion in Magazin-Reportagen der 1960er und 1970er Jahre.
Zur europäischen Textgeschichte eines Konzentrationslagers
In der ersten Hälfte der 1990er Jahre erregte Heiner Müller enormes öffentliches Aufsehen. Seine Interviews wurden legendär, und als Intendant des Berliner Ensembles sowie Präsident der Akademie der Künste/Ost war er eine zentrale Figur im literarischen Leben nach 1989. Die Verbindungen zur Staatssicherheit standen im Mittelpunkt des deutsch-deutschen Literaturstreits. Müllers Beerdigung wurde 1995 live im Fernsehen übertragen, was seine Popularität unterstrich, obwohl er in dieser Phase kaum noch neue Werke schuf. Stattdessen beschäftigte er sich vor allem mit der Reflexion seines Schaffens. Der Höhepunkt seiner Bekanntheit fiel mit seiner Historisierung zusammen. Die Beiträge des vorliegenden Bandes analysieren die überwältigende Anzahl an Referenzen zu Müller in Theateraufführungen, Dramentexten, Romanen, Gedichten, Hörspielen und Interviews. Sie untersuchen, was von Müllers Texten, Aussagen und Inszenierungen bleibt oder verworfen wird und wie Kritik, Zustimmung sowie Fortsetzung und Historisierung miteinander in Beziehung stehen. Mit Beiträgen von verschiedenen Autoren wird ein facettenreicher Blick auf Müllers Erbe und dessen Einfluss auf die zeitgenössische Kultur geworfen.
Zum Einfluss des Endes der DDR und des Systemwechsels nach 1989 auf ostdeutsche Autoren. Die Jahre des Systemwechsels nach 1989 hatten Folgen für die Schreibweisen, die poetologischen Programme und das Rollenverständnis der Autoren, die aus der DDR kamen. Das Buch beschreibt diese Folgen und setzt sie zur intellektuellen Situation nach dem Zusammenbruch des Sozialismus ins Verhältnis: zur Esoterik utopischen Denkens, zum Gefühl der Exilierung, zur Agonie der Kritik und zum »Ende der Geschichte«. Stephan Pabst stellt mit Heiner Müller, Wolfgang Hilbig, Reinhard Jirgl und Durs Grünbein Autoren ins Zentrum seiner Untersuchung, die die Post-DDR-Literatur in den 1990er und frühen 2000er Jahren entscheidend prägten, fragt aber auch nach dem diskursiven Muster, dem ihre Bedeutung entsprang. Eine alt-bundesrepublikanisch geprägte Kritik reproduzierte an ihnen die Differenz modern/postmodern und gab so den Blick auf deren Erschöpfung frei.
Mit dem Namen des Autors verbinden wir bestimmte Vorstellungen von Originalität, rechtlicher Codifizierung und ein historisches Wissen über Zeitgenossenschaft, Werkzugehörigkeit, Intertextualität oder mögliche Adressierungen. Diese Voraussetzungen unserer Lektüre verändern sich oder entfallen, wenn wir den Namen des Autors nicht kennen. Während man Anonymität bislang nur als revisionsbedürftigen Mangel der Überlieferungsgeschichte behandelt oder als autorschaftskritisches Schlagwort rhetorisch pauschalisiert hat, geht es dem vorliegenden Band darum, Anonymität als historisch konkrete Erscheinungssituation von Texten und als Bedingung für deren Bedeutung und Funktion zu rekonstruieren. Die literatur-, rechts- und religionswissenschaftlichen Beiträge stellen sich die Frage, welche Absichten mit der Anonymität von Texten historisch verfolgt, welche Rezeptionseffekte damit erzielt wurden, welche programmatischen Deutungen sie erfahren hat und welchen rechtlichen Regulierungen sie unterlag.
Die literarische Umwertung der Physiognomik bei Jean Paul und E.T.A. Hoffmann
Gegenstand der Arbeit ist das Zusammenspiel von Wissenschafts-, Bild- und Literaturgeschichte der Physiognomik zwischen 1775 und 1825. Wissenschafts- und bildgeschichtlich gerät das 'wahre Bild des Menschen' in dieser Zeit in die Krise. Von Lavater bis Hegel, von Hogarth bis zu A. W. Schlegel wird dieser Prozess nachgezeichnet. Jean Pauls und E. T. A. Hoffmanns Literarisierung der Physiognomik erweist sich vor diesem Hintergrund als Fortsetzung der Physiognomik im und als Bewusstsein ihrer Krise. Dabei wird nicht nur die ästhetische Bedingtheit der Physiognomik kritisch gegen die Naturalisierung sozialer Hermeneutik gewendet, sondern auch die Dimension eines inneren, imaginären Menschen aufgegriffen, die in der wissenschaftlichen Ausdifferenzierung der Physiognomik verloren zu gehen drohte.