Es sind kleine, in sich geschlossene Prosatexte: eingefangene Augen-Blicke, Momentaufnahmen einer Kindheit im Zigeunerdorf. Wie leichtfüßige Musikstücke kommen sie daher – Bagatellen, Impromptus, Humoresken. Sie entfalten einen bald melancholischen, bald skurril-surrealen Zauber und klingen fast immer in einem überraschenden, manchmal verstörenden Schlussakkord aus. Jedes für sich, den Lyriker verratend, ein Stück aufs äußerste verdichteter Erinnerung. Aneinander gereiht erzählen sie vom turbulenten Leben in einer schäbigen Romasiedlung: von Dragiša, dem Saxophon spielenden Vater, vom Großvater, der im Suff deutsche Kommandos brüllt, von der mit Geistern kommunizierenden Großmutter, der Tante, die sich bei Bedarf imaginäre Krankheiten zulegt, und von der Mutter, die all das im Griff zu halten versucht; auch von Jacky, dem Hund, von geköpften Hühnern oder jenem Lamm, in dessen Augen sich der Junge wiedererkennt, bevor es am Georgstag auf den Tisch kommt. Von diesem etwas eigentümlichen Jungen vor allem, der staunend die Welt um sich und sich selbst in ihr beobachtet.
Jovan Nikolic Boeken




Der Gast nirgendwoher
Gesammelte Lyrik
Jovan Nikolić (1955), Autor von 20 Gedicht- und Prosabänden, Librettos und Theaterstücken – veröffentlicht seit 1977 Lyrik. Und lebt seit 1999 lebt in Köln. Die Lyriksammlung "Der Gast nirgendwoher" stellt eine Auswahl seines 40-jährigen dichterischen Schaffens dar. Die getroffene Auswahl wird die LeserInnen an seinen frühen Band "Zimmer mit Rad" erinnern, und zahlreiche Verse wurden bereits in Literaturzeitschriften und Anthologien Europas abgedruckt, aber es sind auch neue, unveröffentlichte Gedichte enthalten. Nikolić neigt zu Oneirismus und surrealen Bildern in seinen Gedichten, welche durch sprachliche Subtilität und semantische Tiefe bezaubern. Erschaffen auf der Basis Liebe–Träume–Tod – Realitätsübertreibung, Selbstironie, ist diese Lyrik ein spannendes Zeugnis der Zeit, der kulturellen und soziologischen Veränderungen, der Zwiesprache mit dem Alter und sich selbst, aber auch der ungezügelten dichterischen Existenz auf der Suche nach einem verborgenen Sinn.
Vordergründig haftet diesen Prosatexten etwas beinahe banal Alttägliches an: Klagen über die Mühen des Alltags in der Fremde, die Koexistenz mit anstrengenden Zeitgenossen – Seelenfänger, Energiesäufer, Floro-Erotomanen und viele andere mehr –, über erlittene oder eingebildete Krankheiten und andere Unbillen des Lebens. Das Besondere daran ist, dass sich jeder dieser Texte auf dem schmalen Grat bewegt, der das Lächerliche vom Schrecklichen trennt, den Witz von der Todesangst. Das eine, so scheint es, existiert nicht ohne das Wissen vom anderen, und jederzeit kann es geschehen, dass eins ins andere hinüberkippt. Mit List führt Jovan Nikolić seine Leser in die Irre, lullt sie mit dem liebevoll-melancholischen Smalltalk eines versierten Großstadtneurotikers ein. Willig folgen wir ihm in seine schräge Welt grotesker Verwirrungen und bizarrer Wesen, um uns dann unvermittelt einen Schritt vor Abgrund wiederzufinden. Überschrieben sind die einzelnen Kapitel mit Hypochondrie, Somnambulie, Familie und Apathie.
Jovan Nikolić „Das Orchester der Frauen, die mich verlassen haben“, ist ein sentimentaler Baedeker durch Hotels und die Riviera ex Yugoslavije, ein Tribut an die Musik und den Lifestyle der sechziger und siebziger Jahre, die Suche nach den verlorenen Lieben. Die Geschichte spielt in der Zeit, „als wir noch Vertrauen in das Leben hatten“. Nikolić’ unverwechselbare Handschrift ist voll von seinem verschlungenen Humor, voller Emotionen, wie wir sie aus seinen früheren Büchern kennen. Auf jeden Fall: Lektüre für Nostalgiker und empfindliche Seelen.