Zweierlei Maß
Freispruch für NS-Richter – Schuldspruch gegen DDR-Juristen






Freispruch für NS-Richter – Schuldspruch gegen DDR-Juristen
Geschichten und Texte zum Zeitgeschehen 1927-2017
Das vorliegende Buch vereint neben bisher unveröffentlichten Geschichten aus dem Leben von Conrad Taler (Kurt Nelhiebel) einige seiner wichtigsten Texte zur deutschen Nachkriegsgeschichte. Ausgehend von seinen Kindheitserinnerungen an das friedliche Zusammenleben von Tschechen und Deutschen in seiner böhmischen Heimat und an die darauf folgende Zeit der Verfolgung während des NS-Regimes wendet er sich gegen den Missbrauch von Heimatliebe durch die Vertriebenenverbände. Seine Kritik an der bundesdeutschen Wiederbewaffnung führt ihn an die Seite der Antifaschisten. Er unterstützt deren Engagement gegen das Wiederaufleben der Nazi-Ideologie und die Etablierung des Antikommunismus als Staatsdoktrin. Die Begegnung mit dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und seine Eindrücke als Beobachter des Auschwitz-Prozesses bestärken ihn in seinem Kampf gegen das Vergessen und die Einebnung der deutschen Geschichte. Leiten lässt er sich von Albert Einsteins Forderung nach einer neuen Qualität des Denkens und der Mahnung Fritz Bauers: »Nichts gehört der Vergangenheit an, alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.«
Wenn eine Gruppe von Neonazis lange Zeit ungehindert morden kann, so ist das auch eine Folge der jahrelangen Verharmlosung des Rechtsextremismus. Conrad Taler nennt jene mit Namen, die sich an dieser Verharmlosung beteiligt haben. So etwa den ehemaligen verteidigungspolitischen Sprecher der CDU, Manfred Wörner, der sich dafür einsetzte, eine Galionsfigur der rechtsextremen Szene, den Ex-Nazi-Oberst Hans-Ulrich Rudel, als Gast bei einer Fliegereinheit der Bundeswehr zu empfangen. Oder den Sozialdemokraten Peter Struck, der als Verteidigungsminister nichts dabei fand, den General Reinhard Günzel, der von seinen Soldaten Disziplin nach dem Vorbild der Waffen-SS verlangt hat, an die Spitze des Kommandos Spezialkräfte der Bundeswehr zu stellen. Beteiligt war auch der Verfassungsschutz mit seinen Taufpaten aus der Gestapo, die als ausreichend legitimiert galten, weil für sie der Feind immer schon links gestanden hat. Dies entspricht einer Erblast, die Conrad Taler eingehend beschreibt.
Alles redet von Flucht und Vertreibung. Aber nicht davon, dass schon vor dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland 150.000 Menschen aus rassischen und politischen Gründen vertrieben wurden. Zu ihrer Erinnerung ein Zentrum zu errichten, steht nicht zur Debatte. Für Conrad Taler dagegen beginnt die Geschichte der Vertreibung nicht mit dem Kriegsende, sondern mit dem Kriegsanfang. Ohne Krieg keine Vertreibung, so seine These. Er selbst entstammt einer antifaschistischen Familie, die von den sudetendeutschen Nazis bedrängt und verfolgt wurde und später wie alle anderen ihre Heimat verlassen mußte. Taler nennt die Verursacher der Vertreibung mit Namen und kritisiert die Vergesslichkeit der heutigen völkischen sudetendeutschen Bewegung.
Dass der Neonazismus als 'Waffe Moskaus' hingestellt und antijüdische Taten den Kommunisten zugeschrieben wurden; dass die Arbeitergeber die Erfolge der NPD in den 60er Jahren 'nicht von vornherein für ein Unglück' hielten; dass sich Industrie, Union und NPD gegenseitig die Bälle zuwarfen, wenn es gegen betriebliche Mitbestimmung und 'zu hohe Lohnkosten' ging; dass 1952 bei einer Demonstration gegen die Remilitarisierung ein 21jähriger von der Polizei erschossen wurde und dass keine einzige westdeutsche Zeitung darüber ein kommentierendes Wort verlor; dass dieselbe politische Klasse, die in den 70er Jahren eine ganze Generation nach angeblichen Verfassungsfeinden durchschnüffelte, heute höchstselbst die Verfassung mit Füssen tritt; dass die antisemitische Rede des CDU-Bundestagsabgeordneten Hohmann jener Aufrechnerei entsprach, mit der die Unionsparteien einer gesetzlichen Verurteilung von NS-Verbrechen erst zustimmten, als auch Verbrechen 'anderer' einbezogen waren: Wer weiss das heutzutage schon?
Berichte vom Auschwitz-Prozess
Was Holocaust-Überlebende als Zeugen im 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965) der Nachwelt überlieferten, hat Conrad Taler für eine jüdische Zeitung in Wien festgehalten. Zur Erstauflage von 'Asche auf vereisten Wegen' schrieb der Newsletter des Fritz-Bauer-Instituts, Talers Berichte seien außerordentlich lesenswert, weil der Autor eine brillante Beobachtungsgabe besitze. Das Buch sei 'jedem zu empfehlen, der sich rasch über den Verlauf des Auschwitz-Prozesses, über dessen Höhepunkte und die im Gerichtssaal ausgetragenen Konflikte ein Bild machen möchte. Jeder wird zudem durch Talers außerordentliches sprachliches Darstellungsvermögen belohnt.' Die Berichte zum Verfahren gegen Mitschuldige am größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte werden in der Neuauflage ergänzt unter anderem durch einen Aufsatz über den Initiator des Verfahrens, den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, aus der Feder seiner Biografin Irmtrud Wojak.
Welche Rolle hat die Justiz nach dem Beitritt der gewendeten DDR zur Bundesrepublik gespielt? Sollte sie den geschlagenen Gegner nachträglich demütigen? Wollte sie durch besonderen Eifer ihre Untätigkeit gegenüber den Blutrichtern des NS-Regimes kompensieren? Wieso hat sie dem Nazistaat trotz Auschwitz das Recht auf Selbstbehauptung zugebilligt, nicht aber der DDR? Warum hat sie den Fundamentalgrundsatz jeder geordneten Rechtspflege - nulla poena sine lege, keine Strafe ohne Gesetz - für DDR-Bürger aufgehoben? In seinem neuen Buch fragt der Journalist Conrad Taler auch, welche moralische Legitimation zur Verurteilung von DDR-Hoheitsträgern eine Justiz beanspruchen kann, die einen Nazirichter freigesprochen hat, der alleine und in kurzer Zeit mehr Todesurteile fällte als alle DDR-Richter zusammen in 40 Jahren. Talers Recherchen scheinen zu bestätigen, was einst der Verfassungsrichter Martin Hirsch äußerte: „Juristen sind zu allem fähig!“