Es erscheint uns als Selbstverständlichkeit, dass die Stadt Trägerin des Musiklebens ist. Wir gehen aus vom Vorhandensein einer Oper, eines oder mehrerer professioneller Orchester, eines Konservatoriums mit eigenen Ensembles; wir erfreuen uns an Schulorchestern, Kantoreien, Chören, Bläser-, Akkordeonvereinen, Jazz-, Rock- und Popgruppen; wir wissen um private Hausmusiken; wir vernehmen in Einkaufspassagen die Weisen der Straßenmusikanten, in Gast- und Kaufhäusern die dezente Lautsprechermusik oder in der Straßenbahn die Zischlaute vom verdrahteten Gegenüber. Das und vieles mehr ist gemeint, wenn vom Klang der Stadt die Rede ist, auch unmusikalische Laute und Geräusche, die das Leben in der Stadt hervorbringt: das Singen der Straßenbahn, das Rauschen der Autos, das Klopfen der Handwerker, das Reden oder Gelächter der Passanten, das Geläut von den Türmen. Aber die hübsche Metapher vom Klang der Stadt, die Holger Zaunstöck als Titel des 9. Tages der hallischen Stadtgeschichte vorgeschlagen hat, besagt noch mehr: Die Stadt hat ihren eigenen Klang – wobei mit Stadt das Gemeinwesen mit eigener Verwaltung und Jurisdiktion gemeint ist, das sich von der ländlichen Umwelt abhebt und dessen Bürger frei und nur der gewählten Obrigkeit und (in früheren Zeiten) dem Landesherrn unterstellt sind. Der Klang der Stadt unterschied sich jahrhundertelang durch seine Vielfalt von der Stille oder den derben Lauten im Dorf und vom Geklirr auf der Burg oder den verfeinerten Tönen im Schloss. Heute erst haben dank technischer Medien in unseren Breiten die Lebensform der Urbanität und ihre Akustik auch das weite Land erfasst. Der Klang ist nicht immer der gleiche, er entsteht, er wandelt sich, er hat Geschichte. Er hängt ab von der Landschaft, von der Struktur und Mentalität der Gesellschaft, von der Größe und vom Wohlstand des Gemeinwesens und nicht zuletzt vom Zufall der Anwesenheit schöpferischer Köpfe. Und er ist auch nicht immer harmonisch – selbst dann nicht, wenn man die Geräusche überhört und nur aufs Klingende achtet: Wir erleben es in diesen Tagen, dass die „städtische Symphonie“ (eine Wortprägung des Historikers Otto Borst) gestört ist. Im vorliegenden Band der Reihe „Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte“ wird der Blick zurückgewandt und in den Beiträgen Streiflichter geworfen auf einige Akteure, die in unserer Stadt für Musik und mit Musik gewirkt haben.
Wolfgang Ruf Boeken






Musik als Klangrede
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Die für die Musikanschauung des Barock und der Klassik bestimmende Vorstellung von der engen Verwandtschaft von Musik und Sprache sowie der Idee einer redenden Musik finden ihren prägnantesten Ausdruck im Begriff „Klang-Rede“, den der Komponist und Musiktheoretiker Johann Mattheson in seinem Lebenswerk „Der vollkommene Capellmeister“ (Hamburg 1739) einführte. Die in diesem Band versammelten zwölf Beiträge lassen die anhaltende Gültigkeit des Prinzips Klangrede durch das ganze 18. Jahrhundert hindurch erkennen und demonstrieren seine technische und stilistische Bedeutung für Werke maßgeblicher Komponisten dieser Zeit wie G. F. Händel, G. Ph. Telemann, J. S. Bach, C. Ph. E. Bach und L. van Beethoven.
Zu den Traditionen der Mozart-Interpretation gehört die Negierung einer gesellschaftlichen Bewußtheit des Komponisten und einer ihr entsprechenden Gehaltlichkeit im musikalischen Werk. Als Beleg gilt insbesondere das Fehlen einer sozialkritischen Tendenz in „Le Nozze di Figaro“. Jedoch erweist der Rückgriff auf die realgeschichtlichen und musikalischen Entstehungsbedingungen, daß der „Figaro“ sich in der Differenziertheit der kompositorischen und operndramatischen Gestaltungsweise und in der musikalischen Akzentuierung der im Libretto verbliebenen kritischen Momente von vergleichbaren Schöpfungen der Zeit substantiell unterscheidet und den Erwartungsmustern des zeitgenössischen Publikums widerspricht. Schritte der Untersuchung sind eine Analyse der historischen Gegebenheiten und der Theatersituation in Wien zwischen 1780 und 1790, eine Gegenüberstellung von Libretto und Textvorlage und ein detaillierter Vergleich der musikalischen Struktur des „Figaro“ mit derjenigen des die Gattung Opera buffa repräsentierenden „Rè Teodoro“ von Paisiello.