Kassenärztliche Vereinigungen agieren im Spannungsfeld zwischen dem freien Spiel der Kräfte auf dem Markt für medizinische Dienstleistungen und den Vorgaben staatlicher Gesundheitspolitik. Sie müssen eine Balance finden zwischen den Ansprüchen der Patienten, dem ärztlichen Berufsethos, den wirtschaftlichen Interessen der Ärzte und der Verpflichtung zum wirtschaftlichen Umgang mit den Mitteln der Krankenkassen. In Hamburg gründete sich schon 1919 die »Vereinigung der Kassenärzte Groß-Hamburgs e. V.«, die sich für die Rechte ihrer Mitglieder engagierte, die Voraussetzungen für Vertragsabschlüsse auf Augenhöhe mit den Krankenkassen schuf und das Fundament für eine umfassende ambulante ärztliche Versorgung legte. Band 1 der Studie zeichnet die Geschichte der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg von der Gründung bis 1964 nach: die stürmischen Zwanzigerjahre, die »Gleichschaltung« unter nationalsozialistischer Herrschaft, den Wiederaufbau nach 1945 und die Einbindung in den bundesdeutschen Sozialstaat. Ein zweiter Band, der die Rolle der KVH in einem expandierenden, immer komplexeren Gesundheitssystem bis in die Gegenwart nachzeichnet, ist in Planung.
Anna von Villiez Boeken


Mit aller Kraft verdrängt
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Das Buch thematisiert den Prozess der umfassenden beruflichen und gesellschaftlichen Entrechtung der rund 450 als 'nichtarisch' diffamierten Ärzte Hamburgs im Nationalsozialismus. Der Veröffentlichung ist eine vollständige Biografiensammlung der Betroffenen auf CD beigefügt, eine erstmalige Dokumentation für eine deutsche Großstadt. Mehr als ein Fünftel der Hamburger Ärzteschaft wurde durch die nationalsozialistische Gesetzgebung aufgrund ihrer jüdischen Herkunft entrechtet. In der Geschichte des städtischen Ärztewesens kam jüdischen Ärzten bis 1933 eine wichtige Rolle zu. In kaum einem anderen akademischen Beruf waren sie erfolgreicher und präsenter. In Hamburg zeugen davon z. B. das Israelitische Krankenhaus auf St. Pauli sowie die jungemedizinische Fakultät und die Ärztekammer, die jüdische Ärzte entscheidend mitgeprägt hatten. Innerhalb weniger Jahre revidierten die Nationalsozialisten diese Entwicklung radikal, bis 1938 mit dem Approbationsentzug die medizinische Qualifikation jüdischer Ärzte annulliert wurde. Während der Großteil sich ins Ausland retten konnte, kamen 38 Ärzte und sechs Ärztinnen in den Vernichtungslagern um. Das Buch untersucht die schrittweise 'Ausschaltung', dann offene Verfolgung der 'nichtarischen' Ärzte und berücksichtigt dabei die Rolle der Hamburger Ärzteschaft und ihrer Organisationen.