This highly stimulating and lucid book gives a critical overview of the
daseinsanalytic concepts of Binswanger and Boss and explains their key
differences despite the common reference to Freudian psychoanalysis and the
Heideggerian philosophy from which daseinsanalysis took its name.
Was es heisst, ein Mensch zu sein, erfahren wir nach Kierkegaard ursprünglich nicht im Denken, sondern in Grundgefühlen. Diesen Gedanken nimmt die Autorin auf: Sie untersucht zuerst Angst, Schuld, Scham auf den in ihnen emotional erfahrbaren philosophischen Gehalt, vor dem wir alle zumeist auf der Flucht sind. Dann befragt sie negative und positive Emotionen auf ihre Funktion hin: Ekel, Neid und Verzweiflung erweisen sich als Formen emotionaler Auflehnung gegen die Tatsache, als Mensch «unheilen» Seinsbedingungen unterworfen zu sein; Liebe und Vertrauen hingegen setzen auf das Mittel der emotionalen Täuschung, um die Wahrheit erträglicher erscheinen zu lassen. Nur die «philosophische Sympathie» lässt sich hier nicht einordnen; ihr gilt deswegen abschliessend besonderes Augenmerk.
Über die Bedingungen psychoanalytischer Psychotherapie
Die Psychoanalyse begann mit Freuds Entdeckung, dass die Symptome seelisch leidender Menschen gegen allen Anschein einen Sinn haben. Folgt man seiner Definition von Sinn, dann ist die Psychoanalyse eine Hermeneutik des Subjekts. Nach der Entlarvung des modernen Mythos vom Subjekt in der Postmoderne ist heute der Einsicht in seine eigentümliche Unhintergehbarkeit aufzuhelfen. Seelisches Leiden wird nur verstehbar, wenn es mit Subjektivität verknüpft wird – allerdings mit der Befindlichkeit eines schwachen Subjekts, das an sich selbst leidet und sich deshalb zu entfliehen sucht. In ihrem neuen Buch begründet Alice Holzhey-Kunz, wie dieses Subjekt, das „nicht einmal Herr ist im eigenen Hause“, begriffen werden muss, wenn der Trend, die psychoanalytische Praxis zu einem störungsorientierten technischen Verfahren unter anderen herabzusetzen, gebrochen werden soll. Orientierung dafür bieten einerseits Sartres Analysen des pour soi und der mauvaise foi, andererseits Heideggers Verständnis des Subjekts als Dasein, das in seiner Befindlichkeit unentrinnbar mit der Last des „Dass es ist und zu sein hat“ konfrontiert ist.
Das Buch liefert eine kritische Einführung in die von Ludwig Binswanger und Medard Boss begründete Daseinsanalyse. Es deutet seelisches Leiden als schmerzliche Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Seins – in der Spannung zwischen Hellhörigkeit und Verweigerung. Freuds große Entdeckung, dass psychopathologische Symptome einen (verborgenen) Sinn haben, ist heute in ein normatives Bild seelischer Störungen verkehrt worden: an die Stelle einer Tiefenhermeneutik ist die psychiatrische Deskription getreten, und Psychoanalyse hat sich auf die Verwaltung psychodynamischer und genetischer Gesichtspunkte zurückgenommen. Die Autorin gewinnt demgegenüber den radikalen Freud"schen Ansatz zurück, indem sie psychoanalytische Grundbegriffe (wie Wunsch, Todestrieb, ödipaler Konflikt, Verdrängung) in die Perspektive menschlichen Seinsverständnisses rückt. Freud und Heidegger werden zusammengebracht.
Der existenzphilosophische Blick auf seelisches Leiden und seine Therapie
Seelisches Leiden ist nur verstehbar „vom Grunde unseres gemeinsamen menschlichen Loses aus“. Das vorliegende Buch radikalisiert diese Erkenntnis Ludwig Binswangers. Die Autorin entdeckt im seelisch leidenden Menschen einen „Philosophen wider Willen“ – anhand zahlreicher Beispiele zeigt sie, dass seelisches Leiden in einer besonderen „Hellhörigkeit“ für die Grundbedingungen des Menschseins wurzelt. Wer hellhörig ist, wird unfreiwillig mit der eigenen Existenz konfrontiert und von dieser Konfrontation überfordert. Um den verborgenen Sinn dieser rätselhaften Erfahrungen zu verstehen, werden nicht nur Kierkegaard, Heidegger und Sartre herangezogen, sondern auch Sigmund Freud. Denn auch ein philosophisches Verständnis seelischen Leidens knüpft an Freuds Einsicht an, dass psychopathologische Symptome sich zwar als bloße Störungen manifestieren, dass sie aber einen – unbewussten – Sinn in sich tragen. Der letzte Teil widmet sich den therapeutischen Konsequenzen dieser existenzphilosophischen Auffassung seelischen Leidens. Die Autorin entwickelt dazu das Konzept eines daseinsanalytischen Verstehensprozesses. Es lehnt sich an die drei Grundregeln Freuds an und ermöglicht dadurch eine Auseinandersetzung mit den angst-, schuld- und schambeladenen Existenzerfahrungen.