Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennen lernen
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Aufsätze über die Schweiz
Da Peter Bichsel ein Schweizer ist, macht er sich Gedanken - zu seinem Land und auch zu jener Literatur, die »Schweizer Literatur« genannt wird. In seinen Kolumnen, Reden und Aufsätzen wird ihm immer wieder überdeutlich klar: daß auch er ein Schweizer ist. Einer, der sich einmischt, einer, der nicht unbequem sein will, aber unbequem ist, einer, der, indem er Fragen stellt, auch sich in Frage stellt: kein Totaldemokrat also.
In diesem Band sind Kolumnen von Peter Bichsel aus den Jahren 1980 bis 1985 versammelt, die er für verschiedene Publikationen schrieb. Jedes Stück erzählt eine subtile, oft komische "wahre" Geschichte, die von persönlichen Erfahrungen des Intellektuellen in der Schweiz inspiriert ist.
Über das Wetter reden, also über irgendetwas. Verstanden werden, und sei es von einem, der gar nicht meine Sprache spricht. Peter Bichsels Kolumnen kommen mit jedem ins Gespräch, denn seine hohe Kunst des Erzählens beschäftigt sich mit allem Möglichen: Jahreszeit und Wetter, Sport- und politischen Ereignissen – immer aber mit Menschen, mit Geschichten von Fremden und Freunden. Der Erzähler meint und meldet Zweifel an, auch an der eigenen Meinung. Er zielt auf eine Aussage, indem er abkommt vom Weg, hinübergleitet zu einem anderen Gegenstand, abbricht, um in einer Schlussvolte doch wieder anzuknüpfen. Dauernd sind sie in Bewegung, seine Kolumnen, das hält uns wach; wir reagieren angeregt; wir fühlen uns gut unterhalten.
Reden zur Literatur
Zwischen 1983 und 2003 hat sich Peter Bichsel nicht oft, dafür aber dann, wenn es geschah, um so prägnanter in öffentlichen Reden mit Autoren und anderen nicht unbekannten Menschen, die es mit Büchern zu tun haben, auseinandergesetzt. Und immer sind dabei Texte entstanden, die von der Lust am Lesen erzählen, von der gefährlichen Leidenschaft, ja unheilbaren Sucht, Buchstaben, Wörtern und Sätzen verfallen zu sein. In seinen Reden über die Eröffnung einer Buchhandlung, zu einem Geburtstag des Verlegers Siegfried Unseld, über Jean Paul, Gottfried Keller und Peter von Matt zeigt Peter Bichsel, wie ernst und zugleich undogmatisch er mit Büchern umgeht und was ihm die »Solidarität der Leser« bedeutet: angesichts einer Lektüre mit jemandem zusammenzusein.
Kolumnen 1986–1990
Der Bestand an festen fragwürdigen Meinungen, die Sachzwänge und altehrwürdigen Hüte sind in dieser Zeit nicht weniger geworden. Das Nachdenken darüber trifft sich bei Bichsel mit der Lust am Unterscheiden. Siegreiche Weihnachtsfeste und andere Feste, die schon im voraus mißlingen, Buddhas Küchenuhr oder auch die Seele eines Kalifen, bewaffnete Kindergärtler und der Glaube, daß legal Handeln und moralisch Handeln dasselbe sei: so höflich der Ton, so böse der Punkt, den Peter Bichsel mit seinen Fragen setzt. Ärger damit hat er genug und täglich wieder.
Vom Warten ist in Peter Bichsels Kolumnen immer mal wieder die Rede. Es gibt mancherlei Arten und viele Geschichten dazu, Minutennovellen, Fabeln, Anekdoten. Heute ist es Johnson, der nicht kommt, dessen Platz in der Kneipe, eher zufällig, frei bleibt und an ihn erinnert. Dabei wartet der Erzähler nicht eigentlich auf ihn, Johnson, eher ist es ein Warten an sich – das ihn an einen anderen erinnert, Rolf, auf den er schon lange wartet, ein Gestorbener, der ihm einmal einen wartenden Spatz auf dem Dachfirst gegenüber zeigte und später eine Fabel fast wie von La Fontaine dazu erzählte, die der Schreibende erst nachträglich begreift. „Ob Vögel das Warten kennen? Ob Menschen das Warten können? Johnson kommt heute wohl nicht. Es ist Mittwoch, am Mittwoch kommt er selten. Aber auf Rolf warte ich oft, auch wenn ich weiß, daß er nicht mehr kommt.“ Erneut läßt sich verfolgen, wie erfindungsreich und überraschend der Erzähler jedesmal neu zu einer Kolumne ansetzt, wie er, nicht selten antäuschend und hakenschlagend, zum um so größeren Vergnügen des Lesers ein Ende, Ende auch diesmal, ansteuert und erreicht.
Das Motto des streitbaren Intellektuellen Peter Bichsel, der auch als solcher immer ein Poet bleibt, könnte der Schlußsatz des Titelessays sein: »Eine Demokratie ohne Diskussion wäre museal. Der innere Feind der Schweiz heißt pervertierter Bürgersinn. Die Igelstellung –eingerollt und die Stacheln nach außen – ist zum Sinnbild unserer Unabhängigkeit geworden. Aber auch ein Igel muß sich zur Nahrungsaufnahme entrollen.«